Fachartikel: KI-Unterstützung für Fachkräfte in Service-Organisationen
Der Einsatz künstlicher Intelligenz bietet in vielen Geschäftsbereichen enormes wirtschaftliches Potenzial – knappe Personalressourcen sind hier ein Treiber, der den KI-Markt weiter befeuert. Kritiker hingegen argumentieren zumeist damit, dass KI-Systeme enorm viel Zeit und Ressourcen verschlingen, in Bezug auf die notwendige Hardware sowie auf das Knowhow bei der individuellen Nutzung. Auch Fragen zu Daten- und Informationsschutz seien oft nicht ausreichend beantwortet. Drittens dürfe die fachliche Qualität der Ergebnisse nicht schlechter sein als bei erfahrenen menschlichen Mitarbeitenden. Die Anforderungen an den Einsatz von KI-Technologien in Service-Organisationen sind also hoch.
Welche Aufgaben kann die KI heute zuverlässig übernehmen?
Zuerst einmal muss klargestellt werden, dass in jeder Branche und in jedem Anwendungsgebiet keine KI mit einer anderen absolut identisch ist. KI ist quasi nur die Methode, die für die individuelle Zielerreichung herangezogen wird. Meist ist dieses Ziel die Zeiteinsparung durch automatisierte oder zumindest teilautomatisierte Handlungen. Eine KI, die etwa bei Kreditwürdigkeitsentscheidungen von Privatpersonen unterstützt, ist nur sehr begrenzt mit einer KI mit Einsatz im Servicemanagement zu vergleichen. Zumal für zuverlässige Ergebnisse das individuelle Fach-Knowhow der eigenen Firma in Form von Trainingsdaten ausreichend und in guter Qualität vorhanden sein muss. Sind diese Kriterien erfüllt, können KI-Systeme bereits jetzt beispielsweise bei folgenden Aufgaben im Servicemanagement sinnvoll unterstützen:
- Auslesen relevanter Informationen einer Nachricht sowie Beschreibung der Kerninhalte
- Ticketerstellung samt Klassifizierung und Kategorisierung anhand der ausgelesenen Daten
- Suchen eines Lösungsvorschlags mit Verlinkung auf die wahrscheinlichste Lösung (z. B. in der Wissensdatenbank)
- (bis hin zur) Generierung von vollständigen Antworten aus allgemeinem und speziellem Wissenskontext
Über konfigurierte Workflows kann eine gute Servicemanagement-Software die Anfrage auf Basis der KIAnalyse z. B. direkt einem verfügbaren geeigneten Mitarbeiter (Routing) zuweisen und bei Ergebnis- und Antwortvorschlägen entsprechende Freigabe-Schritte durch einen menschlichen Bearbeiter einleiten. Theoretisch wäre auch eine vollständige und vollautomatisierte Bearbeitung oder Beantwortung der Anfrage möglich (die sogenannte „Dunkelverarbeitung“); es empfiehlt sich, dies aber zunächst in Zwischenschritten einzuführen, um die Ergebnis-Qualität immer zu gewährleisten. Der Einsatz von KI verstärkt die Dringlichkeit, das eigene Servicemanagement-Tool strukturell aufzuräumen. Soll die künstliche Intelligenz z. B. bei der automatischen Kategorisierung von Anfragen helfen, dann sollten die Kategoriestrukturen sauber gepflegt sein; Kategorien dürfen sich thematisch nicht mehr überschneiden. Dies erleichtert zusätzlich die Bearbeitung aller Tickets, da auch bei einer manuellen Bearbeitung die Kategorie eindeutiger und schneller zugewiesen werden kann.
Der Shift-Left-Ansatz in der Praxis
Der Shift-Left-Ansatz versucht, durch eingesetzte Technik und strukturierte Bereitstellung von Informationen, das Ticketvolumen zu reduzieren bzw. die notwendigen Bearbeitungsressourcen im Servicemanagement zu minimieren. „Links“ steht bei dieser Bildanalogie die proaktive Ticketvermeidung; nach „rechts“ hin der Self-Service, gefolgt von den bekannten Servicelevels: 1st-Level- bis 3rd-Level-Support ganz rechts. Je weiter links auf der Kurve ein Anliegen gelöst wird, desto günstiger ist dies aus Sicht der Service-Organisation. In der Praxis gelingt der Shift-Left-Ansatz durch Handlungsanweisungen, Anwenderschulungen, regelgesteuerte Automatisierung sowie durch den Einsatz von KI für die Informationsextraktion, Kategorisierung oder den Lösungsvorschlag.
Trainingsablauf und Entwicklung des firmeneigenen KI-Systems
Fundament einer jeden praktischen Umsetzung ist das Trainingsmaterial, das dem KI-System zur Verfügung steht. Je besser der Datensatz historischer Tickets gepflegt und strukturiert ist, desto besser werden die Ergebnisse des anschließenden Trainings. Doch auch mit sehr kleinem Datenmaterial kann der Einstieg in die Verwendung von KI beim Servicemanagement lohnen – nur eben mit mehr Zwischenschritten.
Im ersten Schritt werden alle verfügbaren Ticketdaten gesammelt. Bei den meisten Ticketing-Tools ist ein verwertbarer Export der Tickethistorie möglich. Die KI prüft nun die Tickets auf Zusammenhänge zwischen Ticketinhalt, Ticketklassifizierung und vorhandener Lösung. Dieses „Training“ findet auf einer KI-Plattform statt und kann entweder bei entsprechendem Budget selbst lokal (On-Premises) betrieben werden oder aber an einen Dienstleister über eine Cloudlösung ausgelagert werden. Von diesem KI-System wird dann ein individuelles Trainingsmodell zurückgespielt, das man in das inhouse verwendete Ticketing-Tool integriert. Bei einem neu eingehenden Ticket kann ab sofort das Trainingsmodell den Inhalt extrahieren, Vorschläge zu Klassifizierung und Lösung machen.
Sollten bereits jetzt die Ergebnisse überzeugen, braucht man theoretisch vorerst kein neues ressourcenintensives Training durch die KI-Plattform. In der Praxis arbeitet das Ticketing-Tool über eine Schnittstelle zur KI-Plattform mit diesem Modell – über eine Schnittstelle ist auch das Ansteuern mehrerer Modelle möglich. Dabei werden die Vorschläge des KI-Modells manchmal vom Service-Mitarbeiter angenommen, manchmal verworfen und korrekt gesetzt. So entsteht im Laufe der Zeit eine noch bessere Ticket-Datenbasis. Diese Ticketdaten können dann (entweder via Cloud oder On-Premises) erneut als Trainingsmaterial an die KI-Plattform übermittelt werden. Als Ergebnis erhält man ein neues Trainingsmodell, das höhere Erfolgsquoten bei den Vorschlägen liefert, da nun der Datensatz größer und besser ist. Ohne diesen erneuten Gang ins „Trainingscenter“ der KI-Plattform würde die Qualität der KI-Leistung dauerhaft auf demselben Qualitätslevel feststecken – vorausgesetzt natürlich, neuere Tickets sind strukturell und inhaltlich ähnlich zu historischen. Sinnvoll ist auch eine Filterung, sodass etwa nur die Ticketdaten der letzten zwölf Monate verwendet werden.
Wann ein neues Training mit aktuelleren Ticketdaten angestoßen wird, hängt von der gewünschten Qualität (also zu welchem Prozentsatz soll die KI auf die richtige Lösung tippen) und der Homogenität (wie sehr ähneln sich Tickets?) ab. Wenn sich das Trainingsmaterial nicht grundlegend ändert, dann bringt ein erneutes Training vermutlich auch kaum zuverlässigere Vorschläge. Die Zeit- und Hardwareressourcen, die beim Datentraining gebraucht werden, werden von der Datenmenge und der Komplexität der Tasks beeinflusst, die die KI-Plattform erlernen soll.
Erfahren Sie in unserem KI-Factsheet, wie künstliche Intelligenz die Leistung Ihres Service Desks steigert.
Fazit und Ausblick
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, dürfen sich Serviceprovider und interne IT-Abteilungen nicht vor neuen Technologien verschließen. In Kombination mit Chatbots, regelgesteuerter Automatisierung via BPMN und anderer Technologien werden die Servicequalität sowie die Effizienz gesteigert; bei gleichzeitiger Kostenreduktion. KI-Technologien gibt es bereits in weiteren Servicefeldern außerhalb des Servicemanagements – wie beispielsweise Predictive Maintenance, Routenoptimierungen für den Außendienst, aber auch Chatbots. KI-Unterstützung ermöglicht weitere Synergieeffekte innerhalb der Servicelandschaft. In Sachen KI-Anbindung muss die verwendete Servicemanagement-Software also flexibel aufgestellt sein. Der Trend geht hier klar in Richtung abteilungsübergreifende ServicemanagementPlattform.
Zu guter Letzt: Künstliche Intelligenz soll kein Service-Personal ersetzen. Es geht vielmehr um die Unterstützung bei der manuellen Ticketbearbeitung, indem niedrigschwellige, aber zeit- und klickintensive Tasks automatisiert durchgeführt oder zumindest vorbereitet werden. So bleibt der Fokus auf der Qualitätssicherung. Denn gerade in Zeiten des Fachkräftemangels müssen vorhandene Ressourcen bestmöglich genutzt werden; was bedeutet, proaktiv ins eigene Servicemanagement zu investieren.
Über den Autor
Christian Schüle, Head of Product Management, OMNINET
Als Head of Product Management mit 15 Jahren Erfahrung im Bereich Service-Management-Software verantwortet er die funktionale und strategische Roadmap der Geschäftsprozessplattform OMNITRACKER sowie weitere Produkte aus dem Software-Portfolio der OMNINET. Damit sind interdisziplinäre Aufgaben im Rahmen von Requirements-Management, Stakeholder-Management und Anforderungs-Gespräche mit Bestands- und Zielkunden über alle Branchen hinweg und stetige Analyse der Marktentwicklungen verbunden.
Dieser Artikel ist bereits im Fachmagazin SERVICETODAY erschienen, das vom Service-Verband KVD herausgegeben wird.
Über das Fachmagazin SERVICETODAY
Das Fachmagazin SERVICETODAY wird vom Service-Verband KVD e.V. mit Sitz in Dorsten herausgegeben und vom ISB-Verlag, Waltrop, verlegt. Das Fachmagazin für Entscheidern aus Service, Marketing, Logistik und Technik existiert seit über 30 Jahren am Markt und informiert über Management, Organisation und Praxis im Service, über technische Trends und ihre wirtschaftlichen und organisatorischen Auswirkungen, über Weiterbildung und Personalmanagement, über Menschen, Produkte und Unternehmen im Dienstleistungsbereich.
Über den Service-Verband KVD
Der Service-Verband KVD hilft seinen Mitgliedern, indem er mit Expertise und Erfahrung relevante Service-Trends und die Entwicklung in den Bereichen Mensch, Technologie, Prozesse und Umwelt erkennt, erklärt und in Handlungsempfehlungen übersetzt. Mit verschiedenen Formaten bietet der KVD seinen Mitgliedern Zugang zu Wissen, Netzwerken und Interaktion aus Praxis, Wirtschaft und Wissenschaft, mit dem sie ihren persönlichen und unternehmerischen Erfolg zukunftsfähig gestalten und erreichen.
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